Ein Tag im Frühsommer, ich sitze in einem Café an der Hammer Straße. Plötzlich höre ich Fahrradklingeln, quietschende Bremsen, fluchende Menschen. Ich blicke auf, sehe mehrere Radfahrende, einer wollte die anderen überholen, gleichzeitig öffnete jemand im links vom Radweg parkenden Auto die Beifahrertür. Der überholende Radfahrer konnte rechtzeitig bremsen, beschwert sich aber – zu Recht – über die Unachtsamkeit des aus dem Auto steigenden Menschen. Während alle noch diskutieren, bildet sich dahinter eine Schlange von Radfahrenden; die ersten beginnen, auf den Gehweg auszuweichen, um an der stehenden Menge vorbeizukommen. Dort ist es allerdings auch eng: Cafétische, zu Fuß Gehende, Kinderwagen.
Ich blicke auf die Fahrbahn und sehe – nichts. Es sind kaum Autos unterwegs. Während sich auf dem Rad- und auf dem Fußweg alle drängeln, ist auf der Fahrbahn viel ungenutzter Platz. Spaßeshalber beginne ich zu zählen, wie viele Fahrräder und wie viele Autos auf Höhe meines Cafétisches vorbeifahren. Schon nach kurzer Zeit wird deutlich: Es sind etwa dreimal so viele Fahrräder unterwegs wie Autos. Gut, denke ich, es ist Frühsommer, schönes Wetter, kein Berufsverkehr. Im November um acht Uhr morgens sieht das sicher anders aus.
Um meine Beobachtung einordnen zu können, recherchiere ich, wie viel Verkehr insgesamt auf der Hammer Straße unterwegs ist. Die Radverkehr-Zählstelle an der Einmündung in den Kreisel dokumentiert, wie viele Radfahrende dort täglich vorbeifahren. Der Durchschnittswert lag 2024 bei 7.140 Rädern pro Tag. Der Tag mit den meisten Fahrten war nicht, wie vermutet, ein Sommertag, sondern der 18. Dezember: 10.907 Radfahrende passierten die Zählstelle. Die im Netz veröffentlichten Daten reichen bis 2018 zurück. In den Jahren 2018 und 2019 lag der Tagesdurchschnitt jeweils bei über 7.400, in den Coronajahren ging er zurück und pendelte sich danach wieder auf etwa 7.000 Radfahrende pro Tag ein.
Deutlich schwieriger gestaltet es sich, an Zahlen für den Autoverkehr zu kommen. Die letzten Daten, die ich finde, beziehen sich auf den Zeitraum von Januar bis August 2019. Lediglich im März fuhren mehr Kfz als Fahrräder auf der Hammer Straße, in allen anderen Monaten überwog die Zahl der Fahrräder leicht. Mein frühsommerlicher Eindruck, es gebe deutlich mehr Rad- als motorisierten Verkehr, gilt also nicht ganzjährig. Jedoch: Es sind insgesamt etwas mehr Fahrräder als Autos unterwegs.
Für etwas weniger Fahrzeuge steht dem motorisierten Verkehr nun aber etwa dreimal so viel Platz zur Verfügung. Allein den parkenden Autos wird etwa so viel Fläche zugebilligt wie dem gesamten Radverkehr. Ausgeglichen wäre dies allenfalls, würden in jedem Auto jeweils drei Menschen sitzen. Tun sie aber nicht. Hier wird viel Platz für Blech vergeben, während sich die großen Mengen Radfahrender auf etwa anderthalb Meter Radweg quetschen müssen.
Dies birgt viele Gefahren: Die Hammer Straße, zumindest der innenstadtnahe Bereich von Höhe Augustastraße bis zum Kreisel, ist eine kilometerlange „Dooring-Zone“. Platz zum Überholen langsamerer Radfahrender ist kaum vorhanden, zusätzlich verläuft der Radweg stellenweise genau durch den Ein- und Ausstiegsbereich der Busse. Hier muss gebremst und Rücksicht genommen werden. Und der Radweg entlang der Hammer Straße ist nicht nur zu schmal, er ist auch in schlechtem Zustand: viele Unebenheiten erschweren das Fahren und bremsen aus.
Wie ließe sich die Situation ändern? Natürlich wären hier viele Maßnahmen denkbar: Wegfall von Autoparkplätzen, Neuaufteilung des Straßenraums, Verbreiterung und Sanierung der Radwege. Das alles dauert und ist teuer. Eine andere Maßnahme aber ließe sich schnell und kostengünstig umsetzen: Die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht. Zurzeit ist der Radweg benutzungspflichtig, erkennbar ist dies an den blauen Radwegschildern. Wäre es all denjenigen, die schneller unterwegs sein wollen oder ein breiteres Lastenrad fahren, erlaubt, die Fahrbahn zu nutzen, bliebe für diejenigen mehr Platz, die sich auf einem Radweg sicherer fühlen oder langsamer fahren. Die Aufhebung der Benutzungspflicht würde die Situation auf den Radwegen deutlich entspannen und so auch für mehr Sicherheit und Stressfreiheit sorgen.
Seit der Änderung der Straßenverkehrsordnung 1998 darf eine Benutzungspflicht gemäß § 45 (9) StVO nur dann angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko erheblich übersteigt. An sehr vielen Stellen müsste die Benutzungspflicht daher aufgehoben werden – was in Münster jedoch bisher nur auf wenigen Straßen der Fall ist. Prominentestes Beispiel ist sicherlich die Wolbecker Straße: Viele Radfahrende nutzen hier weiterhin den Radweg, andere wählen je nach Uhrzeit und Verkehrsaufkommen mal den Radweg, mal die Fahrbahn. Dies wünschen wir für viele weitere Straßen in Münster und dem Münsterland.
Neugierig geworden? Hier findet ihr weitere Informationen: https://muenster.adfc.de/neuigkeit/radfahren-auch-auf-der-fahrbahn-1

Quellen:


